Was ist Rechtsphilosophie?
Rechtsphilosophie ist Argumentation über die Natur des Rechts. Ihr Gegenstand lässt sich in drei Kernfragen zusammenfassen:
1. Aus welchen Einzelelementen besteht das Recht, und in welchem Zusammenhang stehen diese Elemente zueinander?
2. Welche Beziehung besteht zwischen Rechtsnormen und der sozialen, faktischen Realität des Rechts?
3. Wie ist das Verhältnis von Recht und Moral?
Diese Fragen untersucht die Rechtsphilosophie auf eine reflexive, generelle und systematische Weise. Die Rechtsphilosophie ist reflexiv, weil sie nach den Bedingungen und Grenzen rationaler Erkenntnis des Rechts fragt. Sie ist generell, weil sie sich nicht spezifischen Rechtsproblemen, sondern den fundamentalen Fragen von allgemeiner Bedeutung widmet. Und sie ist systematisch, weil sie sich am holistischen Ideal der Einheit von Erkenntnis orientiert und eine Synthese der Einzelerkenntnisse über das Recht anstrebt.
Weil Graz Jurisprudence diesem integrativen Vollständigkeitsideal verpflichtet ist, beziehen wir - dies hat in Graz eine lange Tradition - die Rechtssoziologie und andere empirische Erkenntnisse über das Recht mit ein. Zudem kooperieren wir eng sowohl mit der praktischen und politischen Philosophie als auch mit soziologischen, ökonomischen und politikwissenschaftlichen Instituten. Wir freuen uns über eine wachsende Zahl von Gastwissenschaftlern aus dem Ausland, die Forschungsaufenthalte bei uns verbringen und den lebendigen Diskurs unserer Arbeitsgruppe weiter bereichern.
Wozu Rechtsphilosophie
Die Summe des juristischen Wissens ist ohnehin nicht mehr zu überblicken. Der Rechtsstoff wächst ständig weiter. Wozu auch noch Rechtsphilosophie?
Gerade weil die Komplexität unserer Rechtsordnungen steigt, wird rechtsphilosophische Kompetenz immer relevanter. Juristische Forschung und Praxis sind für die Bewältigung rechtlicher Probleme auf die Orientierungsleistung und den analytischen Blick rechtsphilosophischer Expertise immer stärker angewiesen.
Rechtsphilosophie hat zudem eine aufklärerische Dimension, weil sie die kritische Auseinandersetzung mit Normen, Rechtssätzen und Urteilen fördert. Sie hat schließlich eine methodologische Dimension, weil sie die Voraussetzungen der richtigen Begründung rechtlicher Entscheidungen klärt. Sie fördert damit die Qualität juristischer Argumentation.
Mit all dem ist der extrinsische Wert der Rechtsphilosophie bezeichnet. Dieser besteht in der orientierenden, analytischen, aufklärerischen und methodologischen Bedeutung der Rechtsphilosophie für die Praxis.
Daneben hat die Rechtsphilosophie einen intrinsischen Wert. Sie erlaubt uns, präziser zu wissen, was genau wir meinen, wenn wir von Recht sprechen. Rechtsphilosophie führt zu einem höheren Maß an kognitiver Reflexivität in den Rechtswissenschaften: sie erlaubt eine präzisere Kenntnis davon, was genau wir tun, wenn wir rechtlich denken, argumentieren und handeln. Denn die Antworten auf die oben genannten drei Kernfragen der Rechtsphilosophie prägen das Grundverständnis, die professionellen Identitäten und die Qualität des juristischen Handelns in allen juristischen Berufen.